Torturgitas

oder lebendig begraben

 

Hey,

 

nicht den Kopf in den Sand stecken, ich melde mich wieder zurück. Heute überspringe ich mal das Proömium und komme zu einer simplen Beschreibung eines einfachen Tages im Leben eines Freiwilligen.

Nachdem ich mich um die kleinen Perritos (Tautologie?) gekümmert hatte, erreicht mich eine Nachricht von Patrick. Dieser ist am Strand und kümmert sich um Schildkröten. Momentan jedoch auf einem Hügel, um mir schreiben zu können ((Inter-)Netz ist so eine Sache hier in Los Santos).

Mit folgender Wegbeschreibung („Durch den Fluss, aber nicht zu den Felsen. Leicht rechts halten, kleiner Pfad durch zwei Tore. Da ist links ein kleiner Bach. Wenn du dich links an den Bach hältst, kommst du zu einem kleinen blauen Haus. Da sind wir) machte ich mich von Macaracas auf. Anam war’s dann für heute. Regnet eh. Erdsäcke kann ich auch noch Montag ausleeren. Nachdem ich mich noch kurz mit Franzi, andere AFS-Freiwillige, die für ein halbes Jahr in der Schule arbeitet, getroffen hatte, wartete ich auf den Bus nach Tonosí. Und täglich grüßt das Murmeltier

Gegen Nachmittag ging es (nach Aufenthalt…) von Tonosí zum Playa Guanico (auch sehr gerne zum Surfen frequentiert). Auf dem Weg an Bombacho vorbei, hielt ich kurz den Bus an („¡Parada!), rannte in mein Zimmer, packte das erstbeste T-Shirt, Zahnbürste, eine lange Hose und (noch) ein Buch in meinen Rucksack.

Nach Mittagessen in der „cantina“ des „Playa Guanico“s (Patacones für 1$) ging es weiter Richtung „kleines blaues Haus“. Die Reise dorthin entpuppte sich bereits als kleines Abenteuer.

Der Fluss stellte sich als tiefer als erwartet heraus. Da ich bei Ebbe bereits durch ebenjenen gewatet war, dachte ich, es genüge, die Hose hochzukrempeln und die Schuhe auszuziehen. Nachdem mit das Wasser bis zu den Knien ging, opferte ich die Hose und ging weiter. Als mir das Wasser in der Mitte des Flusses dann bis zur Hüfte ging, war ich gezwungen, meinen Rucksack auszuziehen und über meinem Kopf zu tragen. Schließlich stand mir dann das Wasser sprichwörtlich bis zum Hals. Aber seht selbst:

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Mir steht das Wasser bis zum Hals

Nachdem diese Hürde überwunden war, begab ich mich auf die Suche nach dem ersten Tor, hinter dem der kleine Pfad durch die Berge begann. Berge ist natürlich übertrieben, trotzdem erinnerte die Weide an die Alpen.

Nachdem ich Kühe und den Pfad, über dessen Zusammensetzung ich gar nicht nachdenken will, hinter mit gelassen hatte, passierte ich das zweite Tor und begab mich am nächsten Fluss entlang nach zwei Weggabelungen, bei denen ich scheinbar den falschen Abzweig gewählt hatte, durch Dickicht, Unterholz, Stachelpalmen (Die heißen wirklich so!) zu dem kleinen blauen Haus. Dort sah ich zuerst Patricks unverwechselbar weißen Oberkörper und konnte sogar Kiko im Meer ausmachen. Ohne zu zögern ging es erstmal in’s (warme) Meer.

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Bond. James Bond.

Danach begutachtete ich die vorschnellen Schildkröten, die tagsüber schon ihren Kopf in durch den Sand gesteckt haben.

Für die nächsten acht Stunden gruben wir Schildkröten und -eier aus und brachten diese entweder in die Torturgita-Knuddelknuthölle oder ein umzäuntes geschütztes Brutgebiet. In dem größten Nest waren sogar 117 kleine Schildkrötenbabies (keine Tautologie). Hier ein bisschen Biologie-Trivialwissen eines Grundkurslers (,der jedoch nicht ungern Zoologie-Vorlesungen der Goethe-Uni gelauscht hat):

Jede Mutter kehrt an ihren Geburtstrand zurück (Philopatrie), um dort ihre Eier abzulegen. Diese vergräbt sie dann nachts im gezeitenunbetroffenen Teil des Strandes bis zu 50 cm tief. Bei unserer Schildkrötenart (lepidoehelys olivacea) waren es zwischen 50 und 120 Eiern. Diese werden dann von der Sonne bzw. des tagsüber sonnenlichterwärmten Strandes ausgebrütet und schlüpfen abhängig von Temperatur und Feuchtigkeit nach circa 15-20 Tagen. Nachdem sie ihre Eier verlassen haben, graben sie sich durch den von der Mutter behutsam (sorry, Alfred, auch ich konnte auf die Anthropomorphismen (Vermenschlichungen) nicht verzichten) festgeklopften Sand nach oben wo sie dann das erste mal (im Optimalfall) das Licht des Mondes sehen. Tagsüber sind sie auf dem hellen Strand und im Meer Vögeln ausgesetzt, weswegen ihre Überlebenschancen nachts deutlich besser sind. Interessant ist auch, dass ihr Geschlecht temperaturabhängig ist (Wenn es also besonders sonnig ist, gibt es vielleicht nur warme Brüder). Wie ein sinnvolles Geschlechterverhältnis in Zeiten der Klimaerwärmung gegeben ist, weiß ich leider nicht. Glücklicherweise gibt es die globale Erderwärmung laut dem Führer der größten Volkswirtschaft („The Donald“) nicht.

Die nicht-chromosomale (wie bei uns Menschen Affen) Bestimmung des Geschlechtes (Temperaturabhängige Geschlechtsdetermination (TGD)/ temperature-dependent sex determination (TSD)) erfolgt nach 10-12 Tagen (thermosensitive Phase der Embryonalentwicklung)  und ist nicht zwingend mit nur einer Temperaturgrenze geregelt. Während sich in einem bestimmten Temperaturbereich ein Geschlecht entwickeln kann, entwickelt sich über oder unter diesem Bereich das jeweils andere. Eventuell ist so durch die Entfernung zu den wärmeren Sandschichten eine gleiche Geschlechterverteilung möglich. Oder auch nicht. Meine Recherche-Resourcen sind begrenzt. Falls jemand mit besserem Biowissen (Feron, Hazim, Sandra oder Gabi?) oder schnellerem Internet (gefühlt jeder auf unserem blauen Planeten) auf Unstimmigkeiten trifft, weißt mich doch bitte darauf hin (professional curiosity or blogger pride? Decide 4 urself)

Wie viel die Schildkröten wahrnehmen können, weiß ich nicht, wahrscheinlich nur begrenzt Licht (Rotlicht bspw. nicht), nach dem sie sich in Richtung Strand bewegen (Unsere kleinen Perritos fangen jetzt, erst mit vier Wochen, an, sehen zu können).

Nachts haben wir die Schildkröten also ausgesetzt und (im Rotlichtviertel) beobachtet, wie sie gen Meer gekrochen sind. Erwachsene Schildkröten musste man teilweise über die von Flut gebildete Sandschwelle heben, damit diese ihre Eier im gezeitenunabhängigen Teil des Strandes ablegen können. Der nasse Sand ist für die Kleinen zu kalt und sie würden nicht ausgebrütet werden (vgl. Temperaturbereich der kleinen Trivialwissenseskalation oben). Nachdem alle Torturgitas es in’s Meer geschafft hatten, gingen Patrick und ich um elf Uhr dann auch in’s Bett. Kiko schlummerte schon seit zwei Stunden.

(Ich weiß, ich habe „eines […] Tages“ gesagt, sorry, Könnt ja hier den Browser schließen, ihr Pedanten (???). Das Orm durchströmt mich nunmal grade. Ist ja schon selten genug. Bear with me)

Um Sechs hieß es wieder „Raus aus den Federn“ (Joke. Gab nur ‘ne Schaumstoff-„matratze“ ohne Bezug. „Did you sleep in your clothes again, Marty?), Schildkrötchen sammeln, frühstücken und Laub haken bis wir um zehn uns gen „cantina“ aufmachten. Ansonsten müssten wir bis Samstag auf den nächsten Bus warten (und würden schon wieder unseren Spanischkurs verpassen o.O).

Der Rückweg war, nachdem man den Weg kannte, entspannt und ereignislos. Bei Ebbe war der Fluss erstaunlicherweise deutlich einfacher zu durchqueren (Laut Kiko kann man bei Flut dort nicht lang. Wenn man nicht 1,9m groß ist, stimmt das wahrscheinlich (In Macaracas ist das außer mir jeder)).

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ganz was neues

Kiko, der ohne etwas zu sagen, eine halbe Stunde vor uns aufgebrochen war, um sein Handy aufzuladen (Gab kein Netz, aber für Pornos braucht man dann doch Akku(; ), erwartet uns bereits und hatte schon fünf Bier hinter sich (/leer vor sich). Nach kurzem Hundgekraule kam dann auch der Bus und ich kehrte von diesen unüblichen aber zweifellos einzigartigen zwei Arbeitstagen zurück.

Bis demnächst getreue Leser

 

Euer Willi

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